Das Wiener Findelhaus zwischen Wohlfahrt und Bevölkerungspolitik
Unerwünschte Kinder fanden ab 1784 im Wiener Findelhaus ein Zuhause. Fürsorge und politisches Kalkül machten auch vor den 'Kleinsten' in der Bevölkerung nicht Halt.
Das Wiener Findelhaus wurde gemeinsam mit dem Gebärhaus 1784 als Teil des Allgemeinen Krankenhauses gegründet und sollte zur Verhinderung von Kindsmorden beitragen. Diese waren im 18. Jahrhundert zum zentralen Thema von Literaten und Medizinern geworden. Ganz dem Zeitgeist entsprechend versuchte Joseph II. eine präventive Maßnahme zu setzen und gleichzeitig Bevölkerungspolitik zu betreiben. Als besonders gefährdet sah er die Gruppe der unehelichen Kinder an. Mit der Verbesserung der Geburtshilfe erhoffte er, dem Kindsmord, der Kindesaussetzung und der hohen Säuglingssterblichkeit ein Ende zu setzen. Im Gebärhaus konnten Frauen jeden Standes anonym entbinden und auf Wunsch das Kind im angeschlossenen Findelhaus abgeben. Angesichts der kostenlosen Entbindung wurde das Gebärhaus Anlaufstelle eines beträchtlichen Teils der Wiener Unterschicht. Etwa 97 Prozent nahmen die kostenlose Entbindung in Anspruch, wenngleich die Betroffenen als Gegenleistung etwa Arbeitsdienste erbringen mussten. Bis zu einem Drittel der in Wien geborenen Kinder wurden dem Findelhaus übergeben und anschließend an Pflegeeltern vermittelt. Das geringe vom Staat bezahlte Kostgeld motivierte vor allem Frauen aus den Unterschichten, Findelkinder anzunehmen. Im 18. Jahrhundert stammten die Pflegeeltern meist aus den Vororten Wiens. Im Jahre 1786 setzte Joseph II. per Gesetz die Gleichstellung von ehelichen und unehelichen Kindern durch (welche später wieder aufgehoben wurde); er wollte damit jeden Menschen als nützlichen Staatsuntertan verfügbar machen. Die schlechte Versorgungslage im Findelhaus und bei den Zieheltern führte zu hohen Sterberaten bei den Findelkindern. Mit 95 Prozent lag sie weit über jener der ehelichen Kinder. So gesehen war die bevölkerungspolitische Intention Josephs II. gründlich gescheitert.