Die maria-theresianischen Reformen
Der Österreichische Erbfolgekrieg legte die Schwächen der Habsburgermonarchie schonungslos offen: Das Reich der Habsburger war eine Großmacht auf tönernen Beinen. Angesichts der veralteten Staats- und Armeeverwaltung sowie eines wachsenden wirtschaftlichen Rückstandes bestand eine dringende Notwendigkeit von Reformen.
Nachdem der Fortbestand der Monarchie und die internationale Anerkennung Maria Theresias als Regentin im Frieden von Aachen 1748 gesichert waren, begannen ab 1749 systematische Reformmaßnahmen in der Staatsverwaltung unter der Leitung von Friedrich Wilhelm von Haugwitz (1702–1765).
Nachdem bereits 1742 die Geheime Haus-, Hof- und Staatskanzlei für die Bereiche der Außenpolitik und dynastischer Angelegenheiten eingerichtet worden war, kam es nun zu einer Fokussierung auf die innere Verwaltung.
Ziel war der Aufbau einer modernen, leistungsfähigen Staatsbürokratie. Die unterschiedlichen Territorien der Monarchie sollten verwaltungstechnisch vereinheitlicht werden und die Autonomie der einzelnen Kronländer zugunsten eines von Wien aus gelenkten zentralistischen Behördenapparates beschnitten werden.
Um dies zu erreichen, mussten die Befugnisse der Stände in den einzelnen Ländern eingeschränkt werden. Die Stände waren die Repräsentanten eines Landes gegenüber dem Landesfürsten. Es war dies aber keine Landesvertretung im modernen Sinn, denn in den Landtagen der Feudalzeit saßen nur Vertreter des Adels, kirchlicher Institutionen und privilegierter Städte, welche die lokale Herrschaft über ihre Untertanen ausübten.
Als Folge des Fehlens einer staatlichen Verwaltung auf lokaler Ebene war der Monarch auf die Mitarbeit der Stände in vielen wichtigen Bereichen wie der Steuereinhebung und der Gerichtsbarkeit angewiesen. Nun galt es, schrittweise das Monopol der Grundherren auf die lokale Verwaltung zu beschneiden. Sonderrechte und Privilegien wie die Steuerfreiheit des Adels und der Kirche wurden abgeschafft.
Es kam zu einer Angleichung der verschiedenartigen Verwaltungsstrukturen in den Kronländern. Es entstand eine geordnete Verwaltungshierarchie: Die neu eingeführten Kreisbehörden bildeten die unterste Stufe der staatlichen Verwaltung auf lokaler Ebene. Darüber standen die jeweiligen Landesverwaltungen, und diese wiederum waren weisungsgebunden gegenüber einer Zentralbehörde, dem „Directorium in publicis et cameralibus“ – in der modernen Ministerialbürokratie würde man darunter die Bereiche Inneres und Finanzen verstehen.
Dies galt jedoch nur für die österreichischen und böhmischen Länder. 1750 wurden in einem Handschreiben Maria Theresias die Kernländer der Monarchie definiert, bestehend aus der österreichischen Ländergruppe (Niederösterreich, Oberösterreich, Steiermark, Kärnten, Krain, die verschiedenen Territorien an der Oberen Adria sowie Tirol und die Vorlande) und der böhmischen Ländergruppe (Böhmen, Mähren und der unter habsburgischer Herrschaft verbliebene Rest Schlesiens). Die Umsetzung war ein langwieriger Prozess. Das Resultat war eine Stärkung der Kernländer der Monarchie, die durch Verwaltungsreformen vereinheitlicht wurden. Ausgenommen davon waren Ungarn mit seinen Nebenländern, die Österreichischen Niederlande und die Lombardei, für die getrennte Verwaltungen bestehen blieben.
Ein weiteres Ziel war eine Professionalisierung der Beamtenschaft bei verstärkter Einbeziehung bürgerlicher Akademiker anstatt adeliger Funktionsträger, für die bisher die leitenden Posten reserviert waren.
Im Bereich der Armeeverwaltung blieb der Hofkriegsrat bestehen. Jedoch wurden auch hier Reformen durchgeführt. Die bestimmende Figur war Leopold Graf Daun, auf dessen Initiative die maria-theresianische Militärakademie in Wiener Neustadt gegründet wurde. Nach modernsten Grundsätzen sollte hier eine neue Generation von Offizieren ausgebildet werden. Der entscheidende Sieg der österreichischen Armee 1757 in der Schlacht bei Kolín bestätigte den Erfolg der Reformen. Als Erinnerung daran gründete die dankbare Kaiserin den Maria Theresia-Orden, dessen erster Träger Daun wurde.
Reformmaßnahmen wurden auch im Bereich der Wirtschaft gesetzt, wie zum Beispiel die Aufhebung von Binnenzöllen, um aus den einzelnen Ländern der Monarchie ein großräumiges Wirtschaftsgebiet mit einheitlichen Regeln zu machen. Erste Statistiken, Volkszählungen und Steuerkataster wurden eingeführt, denn der Staat wollte Einblick in die innere Struktur des Landes haben, um gezielte Maßnahmen der Wirtschaftspolitik setzen zu können.
Als wichtigstes Ziel wurde eine Bevölkerungsvermehrung angestrebt, denn nach damaliger Auffassung wurden mehr Einwohner mit einem allgemeinen ökonomischen Aufschwung eines Landes gleichgesetzt. Nicht zuletzt bedeutete Bevölkerungswachstum auch mehr Soldaten für die Armee. Diese als Physiokratismus bezeichnete Wirtschaftslehre verlangte nach einer Verbesserung der Lage der Bauern. In diesem Sinne wurde eine Beschränkung der Robotleistungen gegenüber der Grundherrschaft eingefordert. Dünn besiedelte Landstriche wie das südungarische Banat wurden im Zuge einer Binnenkolonisation systematisch bevölkert. Kolonisten aus überbevölkerten Gebieten wurden teilweise auf freiwilliger Basis angesiedelt, zum Teil kam es aber auch zu einer zwangsweisen Um- und Ansiedlung von Protestanten oder sozialen Außenseitern, die vom Staat in den zentralen Teilen der Monarchie nicht geduldet wurden.
Auf dem Sektor der Bildung markierte die 1760 gegründete „Studien- und Bücher-Zensur-Hofkommission“ den Beginn einer zentral gesteuerten Bildungspolitik. Die bekannteste Reform Maria Theresias stellt hier die 1774 erlassene „Allgemeine Schulordnung für die deutschen Normal-, Haupt und Trivialschulen in sämmtlichen Kayserlichen Königlichen Erbländern“ dar, in der die Unterrichtspflicht für Kinder eingeführt wurde. Es war dies die erste Maßnahme in die Richtung einer verpflichtenden Grundschulbildung für breite Bevölkerungsteile. Die tatsächliche Durchführung war ein langfristiges Projekt, denn es fehlte an Infrastruktur und Lehrpersonal. Noch bis weit ins 19. Jahrhundert herrschte in der Habsburgermonarchie ein hoher Anteil von Analphabeten mit starken regionalen Schwankungen.
Im Hochschulwesen wurde der kirchliche Einfluss zurückgedrängt. Ein Symbol dafür war der Bau der neuen Aula der Wiener Universität (heute Sitz der Österreichischen Akademie der Wissenschaften), deren allegorisches Programm die Reformtätigkeit Maria Theresias im Bildungsbereich feiert.