Karl I. als Thronfolger und Monarch
Durch das Attentat von Sarajewo, dem der Thronfolger Franz Ferdinand zum Opfer fiel, rückte Karl früher als erwartet in die Position des Thronfolgers auf.
Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde er zum Armeeoberkommando versetzt, das unter der Leitung von Erzherzog Friedrich seinen Sitz im schlesischen Teschen hatte. Später nahm er als Feldmarschallleutnant in leitender Funktion an den Offensiven an der Ostfront in Galizien teil, wo er Zeuge der zunehmenden militärischen Erschöpfung der k. u. k. Armee wurde. In Karl wuchs dadurch die Überzeugung, dass die Weiterführung des Krieges an der Seite des Deutschen Kaiserreiches den Untergang der Monarchie zur Folge haben würde.
Nach dem Tod Kaiser Franz Josephs im November 1916 bestieg Karl mit 29 Jahren den Thron. Mit den brennenden Problemen der geschwächten Monarchie konfrontiert, zeigte sich nun, dass Karl nur schlecht auf seine Funktion als Herrscher vorbereitet worden war. Er wollte sich als moderner Monarch und Volkskaiser profilieren, überschätzte jedoch seine Möglichkeiten. Seine Aktivitäten waren von Übereifer und fehlendem Weitblick geprägt. Überraschende Kursänderungen und sich widersprechende, unüberlegte Anordnungen brachten ihm den Beinamen „der Plötzliche“ ein.
Der junge Monarch Karl wird von seinen Biografen übereinstimmend als persönlich integer und wohlmeinend beschrieben. Seine Selbstsicht als Regent wurde jedoch von seinem überbordenden Sendungsbewusstsein und einer allzu tiefen Verwurzelung im Gedankengut des Legitimismus getrübt. Seine ehrlichen (jedoch oft genug naiven) Bemühungen um Reformen scheiterten an der politischen Realität und der allmächtigen Kriegsmaschinerie.
Karl übernahm persönlich das Oberkommando über die Streitkräfte, verlegte den Sitz der Truppenführung nach Baden bei Wien und entließ den mächtigen Generalstabchef Franz Conrad von Hötzendorf. Mit der Wiedereinberufung des Österreichischen Reichstages – mit Ausbruch des Krieges wurde das Parlament nicht mehr einberufen, das Land mithilfe von Notparagrafen regiert und die Österreichische Reichshälfte de facto in eine Militärdiktatur verwandelt – beendete er die Herrschaft der Armee über die zivilen Angelegenheiten des Staates.
In Ungarn war Karls Handlungsspielraum für durchgreifende Reformen durch eine verfrühte Krönung und die damit verbundene Ablegung des Krönungseides auf die bestehende Verfassung stark eingeschränkt.
Von den Ereignissen der Russischen Revolution aufgeschreckt, drängte Karl auf eine Auflösung des Bündnisses mit Deutschland und einen Separatfrieden, um die Monarchie vor dem drohenden Untergang zu retten. Ende 1916 nahm er deshalb Geheimverhandlungen mit Frankreich auf, wobei er den Bruder seiner Gattin, Sixtus von Bourbon-Parma, als Mittelsmann einsetzte. Nachdem durch Indiskretionen und diplomatische Pannen die geheimen Papiere, deren Existenz von Karl zuvor geleugnet wurde, im April 1918 veröffentlicht worden waren („Sixtus-Affäre“), war die Glaubwürdigkeit des Kaisers im In- und Ausland vollends zerstört.
Die Folge war, dass Österreich-Ungarn die letzten Reste eines eigenständigen Handlungsspielraumes verloren hatte und sich noch enger als zuvor an den übermächtigen Bündnispartner Deutschland binden musste. Kaiser Karl war als Entscheidungsträger desavouiert und politisch entmachtet.
Dies machte auch die innere Zerrissenheit der Monarchie sichtbar: Die erstarkenden Deutsch-Nationalen sahen in der Dynastie und vor allem in Karls Gattin Zita eine Verräterin und forderten die bedingungslose Einhaltung des Bündnisses mit Deutschland („Nibelungentreue“). Die anderen Nationalitäten begannen ihre Zukunft in der Unabhängigkeit zu suchen und wurden darin von den Westmächten bestärkt, da die Zerschlagung der Monarchie ab Frühjahr 1918 nun deren offizielles Kriegsziel war.