"Es ist mein Wille"
Auf allerhöchste Anordnung wird die Kaiserstadt zur Baustelle. Die Neugestaltung war jedoch lange Zeit umstritten: Kritiker beklagten den Verlust der alten Bausubstanz, Modernisierer die vergebene städtebauliche Chance radikaler Modernität.
Zit. nach Kos, Wolfgang/Rapp, Christian: Alt-Wien. Die Stadt, die niemals war, Katalog zur gleichnamigen 316. Sonderausstellung des Wien Museums im Künstlerhaus, 25.1.2004–28.3.2005, 2. überarb. Aufl. Wien 2005, 405, Kat.Nr. 5.3.8.Seit die neue Bau-Aera mit ihrem Verschönerungs-Vandalismus über Wien hereingebrochen ist, bleibt man immer länger stehen in den engen Gassen und sieht immer zärtlicher hinauf zu den alten Häusern, die man kennt und vielleicht schon nächstens nicht mehr sehen wird. So ist das Spazierengehen jetzt auch ein fortwährendes Abschiednehmen.
Am 20. Dezember 1857 erging ein kaiserliches Handschreiben an den Minister des Inneren, Alexander Freiherrn von Bach, das am 25. Dezember in der "Wiener Zeitung" publiziert wurde. Darin gab Kaiser Franz Joseph grünes Licht für die Beseitigung der Stadtmauer und die Errichtung der Ringstraße. Wie Paris sollte auch Wien als Hauptstadt des Habsburgerreiches eine repräsentative Aufwertung erfahren.
Die Verwirklichung oblag der "Stadterweiterungskommission": Bei einem internationalen städtebaulichen Wettbewerb – die Ausschreibung als öffentliches Bauvorhaben entsprach dem liberalen Denken der Zeit – wurden 85 Entwürfe eingereicht. Das realisierte Projekt setzte sich aus verschiedenen Plänen zusammen. In dem 1859 vom Kaiser "allerhöchst genehmigte[n] Plan der Stadterweiterung", der im Laufe der Errichtung erweitert und verändert wurde, war die grundsätzliche Gestaltung der Ringstraße vorgegeben: die Anlage einer rund fünf Kilometer langen, 57 Meter breiten Alleestraße und die Verbauung mit monumentalen öffentlichen Gebäuden und Palais, privaten Mietshäusern sowie Plätzen und Parkanlagen.
In den folgenden Jahren wurde Wien von einer Demolier-Euphorie und einer Bauwut ergriffen, die Johann Strauß in seiner "Demolirer-Polka" verewigte.
Das Wiener Stadtbild änderte sich täglich, ganze Straßenzüge – im Bereich des Rings und in der Innenstadt – wurden neu bebaut. Alte Häuser mussten weichen. Die Zerstörungen riefen Kritik hervor, man sprach von "Barbarismus", "Verschönerungs-Vandalismus" und "Spekulantentum". MalerInnen und FotografInnen dokumentierten den alten Hausbestand. HeimatschützerInnen riefen zur "Rettung Alt-Wiens" auf. Doch auch Stadttheoretiker wie Camillo Sitte kritisierten die "Reißbrett-Stadt".
Einige Architekten hingegen erachteten die Ringstraße im Nachhinein als Fehlplanung und forderten eine Neugestaltung der Stadt nicht auf Basis des größtmöglichen Gewinns, sondern zur Umsetzung gesellschaftspolitischer und urbanistischer Ideen. Otto Wagner (1841–1918) etwa entwickelte in seiner Studie "Die Großstadt" 1911 ein Konzept einer funktionellen, "hygienischen" Stadt mit möglichst regelmäßigem Grundriss. Adolf Loos (1870–1933) sah die Ringstraße als zentrales Problem Wiens an – er lehnte den Historismus strikt ab – und skizzierte in einem "Plan von Wien" 1912/13 einen radikal veränderten urbanen Raum mit neuen Sichtachsen und monumentalen Plätzen.