„Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild“
Kronprinz Rudolf initiiert ein Kompendium des Habsburgerreiches, das als völkerverbindendes Friedensprojekt die bröckelnde Monarchie retten soll.
Moritz Szeps am 27. März 1884 in seinem Artikel „Erkennet Euch selbst!“ im „Neuen Wiener Tagblatt“ über Kronprinz Rudolfs Projekt. Zitiert nach Peter Karoshi: Ein Versuch, Konzepte der Hybridität auf Quellen zum österreichisch-ungarischen Vielvölkerstaat anzuwenden: das Kronprinzenwerk, in: eForum zeitGeschichte (2/2001), http://www.eforum-zeitgeschichte.at/set2_01a4.htm (02.2010)Erkennet Euch selbst, dünkt uns das passende Motto für das Werk [...]; je mehr die Völker der Monarchie über ihre eigene Bestimmung, über ihre wahren Interessen, über die Ausdehnung und Grenzen ihrer Fähigkeiten in's Klare kommen, in desto höherem Grade werden sie sich auch zur Verständigung über Alles geneigt fühlen, […].
1884 setzte Rudolf, der aufgrund seiner liberalen und fortschrittlichen Ideen von den konservativen Kreisen um seinen Vater am Hof politisch ausgeschlossen wurde, ein Zeichen: Er initiierte die nach ihm als „Kronprinzenwerk“ bezeichnete monumentale Enzyklopädie „Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild“ – eine Art Gesamtschau, die das ganze Reich mit all seinen Völkern erfassen sollte.
Das „Kronprinzenwerk“ beeindruckt zumindest durch Zahlen: Es erschien über 17 Jahre hinweg von 1885 bis 1902 in 397 Einzellieferungen, die alle zwei Wochen an die AbonnentInnen verschickt wurden. Insgesamt umfasst es 24 Bände mit 587 Artikeln von über 400 Autoren (großteils lokal ansässige Fachleute, die der untersuchten Volksgruppe selbst angehörten) und ca. 4.500 Abbildungen von 264 KünstlerInnen aus allen Kronländern. Es war damit das größte Werk, das je in der k. k. Hof- und Staatsdruckerei herausgegeben wurde. Gemäß der dualistischen Struktur der Monarchie wurden von zwei getrennten Redaktionen – parallel, aber mit inhaltlichen Abweichungen – eine deutsche und eine ungarische Ausgabe verfasst, die sich primär an ein urbanes bürgerliches Zielpublikum richteten.
An das Werk waren zumindest zu Beginn sowohl von Seiten der Herausgeber als auch der Presse, die ihm in den 1880er-Jahren große öffentliche Aufmerksamkeit zukommen ließ, große Hoffnungen geknüpft: Es sollte – vor dem Hintergrund der in diesem Jahrzehnt virulenten Nationalitätenkonflikte – ein völkerverbindendes, gegen alle separatistischen Kräfte gerichtetes Friedensprojekt sein, das durch die Vermittlung von Wissen Versöhnung schaffen und die Solidarität in der Donaumonarchie stärken wollte.
Nach Rudolfs Tod und mit der Verlagerung der Themen der Bände vom Zentrum an die Peripherie des Reiches schwand das öffentliche Interesse zunehmend. Heute ist eine Gesamtausgabe des „Kronprinzenwerks“ ein begehrtes Sammlerstück.