Johanna „die Wahnsinnige“
Johanna wurde als drittes Kind der „katholischen Könige“, Ferdinand von Aragón und Isabella von Kastilien, geboren, unter deren Herrschaft erstmals verschiedene Territorien der iberischen Halbinsel zusammengefasst wurden: Spanien, wie man es heute kennt, war geboren.
Johannas Vermählung mit Philipp I. erlangte welthistorische Bedeutung. In einer spektakulären Doppelhochzeit wurden Johanna und ihr Bruder Johann 1496 mit den Kindern des Habsburgers Maximilian I., Philipp und Margarete, verheiratet.
Die Tragweite der dynastischen Verbindung eröffnete sich erst, als Johannas Bruder, Kronprinz Johann, dessen eben erst geborener Sohn und Johannas ältere Schwester Isabella, die mit dem König von Portugal verheiratet war, unmittelbar nacheinander verstorben waren. Somit war Johanna ab 1500 die alleinige Erbin der vereinigten Kronen von Kastilien, Aragon, Leon und Granada.
Johannas Position wurde dadurch jedoch immer schwieriger: Philipp sah sich als alleiniger Vertreter seiner Gattin, die er mehr und mehr vom politischen Geschehen ausschloss. Er versuchte, sie von ihren Eltern zu entfremden. Vor allem nach dem Tod von Johannas Mutter Isabella (1504) kam es zu einer offenen Konfrontation zwischen ihrem Gatten und ihrem Vater Ferdinand um den Führungsanspruch in Kastilien. Johanna wurde zu einem Spielball im Streit zwischen den konkurrierenden Parteien.
Ab ihrem 22. Lebensjahr zeigten sich psychische Probleme. Nach heutiger Diagnose litt sie wahrscheinlich an Schizophrenie. Das tatsächliche Ausmaß ihrer geistigen Störung ist schwer einzuschätzen, da die Darstellungen durch das Interesse von Gatten und Vater an der Aushöhlung der Autorität Johannas teilweise verzerrt sind. Philipp gelang es, die Position eines Vormundes seiner Gattin als Herrscherin in Kastilien einzunehmen. Auch ihr Vater Ferdinand betonte in Konkurrenz mit seinem Schwiegersohn Johannas mangelnde Eignung als Herrscherin.
Johannas Ehe mit Philipp, der offensichtlich seinem Beinamen „der Schöne“ alle Ehre machte, war anfänglich von großer Hingabe des Paares zueinander geprägt. Die Sinnlichkeit Johannas wird von ihren Biographen deutlich hervorgestrichen, wobei ihre Leidenschaft für den Gatten krankhafte Züge anzunehmen begann. Das Paar lebte oft getrennt, da längere Aufenthalte Philipps in den Niederlanden notwendig waren, während Johanna in Kastilien Präsenz zeigen musste. Johanna drängte jedoch vehement auf ein ständiges Zusammenleben mit dem Gatten, was zu ihrem Lebensinhalt wurde. Sie litt an der Trennung von Philipp, der es mit der ehelichen Treue offensichtlich nicht allzu ernst nahm. Es kam zu dramatischen Eifersuchtsszenen, wobei sie gegenüber ihren tatsächlichen wie vermeintlichen Rivalinnen mitunter auch handgreiflich wurde.
Ein weiterer Wesenszug war ihre stark ausgeprägte Melancholie (oder modern ausgedrückt: depressive Grundstimmung), die sie oft tagelang unbewegt vor sich hinstarren ließ. Sie verweigerte die Kommunikation mit ihrer Umgebung und entwickelte einen Waschzwang, wobei sie sich mehrmals täglich die Haare wusch.
Nach dem plötzlichen Tod Philipps im Jahre 1506 verschlechterte sich ihr Befinden. Ihre Liebe zum toten Gatten wurde zur Manie. Sie gab seine sterblichen Überresten nicht aus ihrer Obhut. So ließ sie den Leichnam aus dem Sarg heben und bettete ihn in ihrem Zimmer, wohin sie niemanden einließ.
1509 wurde Johanna auf Geheiß ihres Vaters in das Kloster von Tordesillas gebracht, wo sie in der Obhut der Klarissen bis zu ihrem Tod verblieb. Die Königstochter lebte dort in völliger Abgeschiedenheit. Bei Bedarf wurde ihre Existenz jedoch politisch genützt, so auch von ihrem Sohn Karl, der bei seinen Bemühungen um eine Anerkennung seiner Erbansprüche in Kastilien Johanna als Mittel einsetzte. Als dies gelungen war, erlahmte sein Interesse am weiteren Schicksal der Mutter deutlich, worüber Johanna mehrmals klagte. Ein letztes Mal trat sie 1520 ins Licht der Öffentlichkeit, als die Anführer des Aufstandes der Comunidades gegen das Regime Karls die vergessene Königin für ihre Zwecke zu instrumentalisieren versuchten.
Ihr psychischer Zustand verschlechterte sich mit den Jahren zunehmend. Sie verweigerte jegliche Körperhygiene und wurde von ihrer Umgebung vernachlässigt und misshandelt. Sie wechselte zwischen totaler Apathie und Aggressionsschüben und hatte nur mehr wenige helle Augenblicke. Johanna verbrachte 46 Jahre in Klosterhaft, bevor sie im Alter von 75 Jahren 1555 verstarb.
Begraben wurde sie an der Seite ihrer Eltern und ihres Gatten in der Capilla Real der Kathedrale von Granada.