Die Kirche redet mit. Neue moralische Maßstäbe im "ganzen Haus"
Neue Moralmaßstäbe beeinflussten die Organisation des "ganzen Hauses". Scham und Sittlichkeit bestimmten nun den Alltag.
Die Ehrbarkeit des "ganzen Hauses" wurde zum Parameter gesellschaftlichen Umgangs, für dessen Einhaltung die dem Haushalt vorstehenden Personen zu sorgen hatten. Von Kirche und Obrigkeit wurde die häusliche zu einer gottgewollten Ordnung stilisiert und dementsprechend reguliert. Ein Hausherr hatte sein Haus als christliches Haus zu führen und das sittliche Verhalten seiner Untergebenen im und außer Hause zu kontrollieren. Auf ihn fiel auch ungebührliches Benehmen des Gesindes in der Dorföffentlichkeit, eine uneheliche Schwangerschaft seiner Tochter oder streitsüchtiges Verhalten seiner Ehefrau zurück. Neben der ökonomischen Funktion als Geldverdiener besaß der Hausherr auch die moralische Autorität, was das hausherrschaftliche Patriarchat noch bestärkte.Auch die Brautwerbung war keine private Sache unter Heiratswilligen, sondern vielmehr ein gesellschaftliches Ereignis. Während der Hausherr danach trachtete, ökonomische Vorteile aus der Vermählung seiner Kinder zu ziehen, warnte die Kirche vor Zwangsverheiratungen und 'ungleichen' Ehen. Mit letzteren waren Verbindungen zwischen einem alten Mann und einer jungen Frau bzw. umgekehrt gemeint. Als Ausweg blieben − vor allem in der besitzlosen Bevölkerung − so genannte Winkelheiraten, welche ohne Einverständnis der Eltern erfolgten. Dieses im 16. Jahrhundert noch sehr verbreitete Phänomen der 'heimlichen Heiraten' verschwand bis ins 18. Jahrhundert.
Die Kirche wollte auch das Verhalten der Eheleute untereinander und ihr Verhältnis zu den Kindern regeln: Nach ihren moralischen Vorstellungen sollte eine Frau jungfräulich in die Ehe gehen und der Geschlechtsverkehr einzig zur Zeugung von Nachkommen vollzogen werden − beides sollte richterlich eingeklagt werden können. Aus der weltlichen und religiösen Festigung und Regulierung des Ehestandes resultierte eine Tendenz zur Unterdrückung von Sinnlichkeit und Sexualität, wie sie das Mittelalter in diesem Ausmaß nicht gekannt hatte.