Lies den nachfolgenden Text und vergleiche mit der heutigen Situation: Sollte man beim Hören der österreichischen Hymne aufstehen? Begründe Deine Haltung!
Ob eine Verletzung der dem Kaiserhaus geschuldeten Ehrfurcht auf Zustimmung oder Ablehnung stieß, hing freilich auch vom jeweiligen Kontext ab. Auch ein eher harmloses Verhalten konnte großen Unmut der Umgebung hervorrufen, wie ein Vorfall zeigt, der sich bei den Feierlichkeiten zum 70. Geburtstag Franz Josephs ereignete. Die Salzburger Veteranen- und Kriegervereine veranstalteten aus diesem Anlass am 5. August 1900 ein Fest. Nachdem am Vormittag ein Festgottesdienst in der Universitätskirche zelebriert worden war, feierte man am Abend in der Restauration <em>Elektrischer Aufzug</em> am Mönchsberg. Die trotz des schlechten Wetters herrschende „ungeteilthe animirte Festesfreude“ wurde jedoch durch einen Zwischenfall getrübt, den auch die <em>Salzburger Zeitung</em> in ihrem Bericht über die Feierlichkeiten nicht unerwähnt ließ. Wie die Zeitung entrüstet berichtete, hatte sich eine Tischgesellschaft zu dem Fest verirrt „die es nicht der Mühe werth fand, bei der Volkshymne von dem Stuhle aufzustehen, sondern gerade provocirend, zum Aergernisse aller anderen Anwesenden, sich in den Tisch hineinlümmelnd, sitzen blieb“. Nach Ansicht des berichtenden Journalisten war das Aufstehen während der Hymne und des Ausbringens eines Toasts auf den Kaiser nicht nur aufgrund der „den patriotischen Gefühlen für das Allerhöchste Kaiserhaus gebührenden Hochachtung“, sondern auch aus „bloßen, der Gesellschaft schuldigen Anstandsgründen“ geboten. Gerade bei einem Fest zu Ehren des Kaisers wurde ein solches Verhalten von den Anwesenden offensichtlich als Unverschämtheit verstanden, wozu sicher auch die herrschende patriotische Stimmung beigetragen hatte, die durch eine „so recht aus altem Soldatenherzen kommende patriotische Rede“ noch angefacht worden war, in der einer der Veteranen „die drei Cardinaltugenden aller Militärveteranen, Kameradschaft, Einigkeit und angestammte Treue zum Allerhöchsten Kaiserhause beleuchtete“. Eine so offen zur Schau getragene Missachtung der dem Kaiser geschuldeten Ehrfurcht musste von den anwesenden Veteranen nicht nur als Beleidigung ihres obersten Kriegsherrn. sondern auch ihrer eigenen Werte verstanden werden. Dass die besagte Tischgesellschaft dennoch ungeschoren davonkam und man „von einem ernstern Auftritte gegen eine solche Rohheit absah“ war „nur der hohen Weihe des Festes, dem dasselbe galt, zuzuschreiben“. Von den Strafverfolgungsbehörden wurde eine solche durch ein bloßes Unterlassen begangene Unhöflichkeit nicht als Majestätsbeleidigung verfolgt, die Übeltäter mussten sich auch nicht vor Gericht verantworten.
(Czech, Philip: Der Kaiser ist ein Lump und Spitzbube. Majestätsbeleidigung unter Kaiser Franz Joseph. Wien 2010, 213.)