Stefan Zweig: Die Welt von Gestern
Während im Politischen, im Administrativen, in den Sitten alles ziemlich gemütlich zuging, und man gutmütig gleichgültig war gegen jede ,Schlamperei‘ und nachsichtig gegen jeden Verstoß, gab es in künstlerischen Dingen keinen Pardon; hier war die Ehre der Stadt im Spiel. Jeder Sänger, jeder Schauspieler, jeder Musiker mußte ununterbrochen sein Äußerstes geben, sonst war er verloren. Es war herrlich, in Wien ein Liebling zu sein, aber es war nicht leicht, Liebling zu bleiben; ein Nachlassen wurde nicht verzichtet. […] Wer in der Oper unter Gustav Mahler eisernste Disziplin bis ins kleinste Detail, bei den Philharmonikern Schwungkraft mit Akribie als selbstverständlich verbunden gekannt, der ist eben heute selten von einer theatralischen oder musikalischen Aufführung voll befriedigt.