Die Statthalter zum Fenster hinauswerfen
Defenestrationen – Fensterstürze – gab es im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit öfters. Der Prager Fenstersturz von 1618 ist das berühmteste Ereignis dieser Art.
Der gräfliche Hofrat Volkmar Happes in seiner Chronik aus dem Dreißigjährigen Krieg über den Prager Fenstersturz, den er irrtümlich zwei Tage zu früh datierteDen 21. Mai anno 1618 haben die Böhmischen Stände sub utraque zu Prag drey Keyserliche vornehme Räthe aus der Cantzley zum Fenster hinaus in den Schlossgraben geworfen, dahero der blutige Böhmische Krieg entstanden, der viel Jahr continue aneinander gewehret, fast die gantz Welt durchkrochen und alle Lande verderbet.
Kaiser Matthias kümmerte sich wenig um die von seinem Vorgänger Rudolf II. garantierte Glaubensfreiheit für Böhmen. Unter seiner Herrschaft wurden viele Protestanten ihrer Ämter enthoben und durch Katholiken ersetzt. 1617 nahmen die Spannungen weiter zu: Die protestantischen böhmischen Stände waren keineswegs mit der Krönung Ferdinands II. zum König von Böhmen einverstanden. Mit ihm kam nämlich ein radikaler Vertreter der Gegenreformation an die Macht.
Die evangelischen Stände protestierten gegen die mangelnde Kompromissbereitschaft von Kaiser Matthias. Am 23. Mai 1618 drangen einige Dutzend Delegierte in den Prager Hradschin ein. Darunter war auch eine Gruppe von Adeligen, die mit der Ermordung der katholischen Statthalter einen Aufruhr provozieren wollten. Kurzerhand warfen sie die habsburgischen Statthalter Wilhelm Graf Slavata und Jaroslav Bořita Graf Martinitz zusammen mit dem Schreiber aus dem Fenster. Solche Fensterstürze kamen im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit öfters vor: In Prag wurden 1419 am Beginn der Hussitenkriege einige Ratsherren aus dem Fenster des Neustädter Rathauses geworfen. Auch damals hatten religiöse Motive eine Rolle gespielt.
Der Sturz von 1618 endete glimpflich für die Defenestrierten, sie wurden nicht ernsthaft verletzt. Die Katholiken glaubten an eine wundersame Errettung durch die Jungfrau Maria. Die beiden Statthalter kamen nicht nur mit dem Leben davon, sie stiegen später in der böhmischen Verwaltung noch weiter auf. Die politischen Folgen des Fenstersturzes waren gravierend: Es war der Auftakt für eine Rebellion der Stände in Böhmen, angeführt von Heinrich Matthias Graf von Thurn. Die Stände übernahmen das Kommando in Prag.
Auch in Österreich probten die Stände den Aufstand: Am 5. Juni 1619 drangen protestantische Adelige unter der Führung von Andreas von Thonrädl in die Wiener Hofburg ein und bis zu Ferdinand II. vor, um mit der "Sturmpetition" ihre Rechte einzufordern. Die Aufstände in Böhmen und Österreich konnten zwar von den kaiserlich-königlichen Truppen bald niedergeschlagen werden; die religiös motivierten Konflikte lösten jedoch einen Flächenbrand in Mitteleuropa aus, der als der Dreißigjährige Krieg in die Geschichte eingegangen ist.