Der nützliche Kaiser: Joseph II.
"Alles für das Volk; nichts durch das Volk" – unter diesem Motto versuchte Joseph II. sein Reformprogramm durchzusetzen.
Leopold II. über das Verhältnis seines Bruders Joseph II. zu ihrer Mutter Maria TheresiaEr hat nach Charakter und Geschmack Freude daran, immer allem zu widersprechen und alles das zu machen, was man nicht will und die anderen auch in den kleinsten Dingen zu kränken und besonders die Kaiserin und deshalb streiten und schreien sie immer miteinander, wobei er immer ärgerliche Dinge sagt und sie ärgert und ihr droht, weggehen zu wollen und einen Skandal heraufzubeschwören und die Regentschaft aufzugeben und ähnliche Dinge.
Joseph II. verehrte den Erzfeind seiner Mutter Maria Theresia, den Preußenkönig Friedrich II.: Wie dieser empfand er sich als "erster Diener des Staates". Seine private Sparsamkeit und seine Abneigung gegenüber dem barocken Hofzeremoniell brachten ihm den Ruf der Volksnähe ein. Zu einer tatsächlichen Überwindung sozialer Unterschiede kam es aber nie: Zwar war Joseph von der Aufklärung beeinflusst, er war aber weit davon entfernt, absolutistische Grundzüge in Frage zu stellen. Er bediente sich der Modernisierung und Vereinheitlichung des Staates, zum revolutionären Kern der Aufklärung blieb er aber auf Distanz.
Joseph folgte unter dem Schlagwort der Nützlichkeit einem unbedingten Fortschrittsglauben. Seine Reformen konzentrierten sich auf Verwaltung, Zentralisierung und Bürokratisierung des Herrschaftsbereiches: Es ging um eine staatliche Erfassung der Untertanen und des Herrschaftsgebietes sowie um polizeiliche Überwachung. Das alles erfolgte aus ökonomischen Überlegungen: Die Produktivität der Bevölkerung sollte zum Allgemeinwohl gesteigert werden. Auch die "Toleranz" gegenüber ProtestantInnen und Menschen jüdischen Glaubens war schließlich wirtschaftlich "nützlich".
Als Josephinismus werden vor allem die Reformen im kirchlichen Bereich bezeichnet, die ihm in katholischen Kreisen den Ruf als Kirchenfeind eingebracht haben. Joseph beschwerte sich über die tief verwurzelte Irrationalität der Bevölkerung – jahrhundertealte Frömmigkeit, Reliquienverehrung, Rituale und Aberglaube waren aber nur schwer überwindbar. Joseph hob Klöster auf, schuf einheitliche Priesterseminare und reduzierte die hohe Zahl der Feiertage. Trotz dieser rigorosen Kirchenpolitik blieb er aber dem Katholizismus verpflichtet, er nutzte ihn für die Schaffung eines zentralistischen Einheitsstaates.
Ebenso zweckorientiert waren die Reformen der Sozialfürsorge, der Justiz und der Bürokratie: Nicht mehr die Androhung und Ausübung von Gewalt sollten die Untertanen zur Arbeit anhalten, sondern alle Lebensbereiche sollten zum Allgemeinwohl reglementiert werden. Der Erneuerungswille ist Joseph II. nicht abzusprechen. Nachhaltige, tiefgehende Veränderungen im habsburgischen Vielvölkerreich und in seiner Verwaltung konnten die Reformen aber nicht bewirken.